2013-09-30 - Wiener Neustadt
Österreichisches Militärordinariat - Werner, Christian, Militärbischof
Predigt beim Gottesdienst zur Synodeneröffnung
Es gilt das gesprochene Wort.
Lesung: Sach 8, 1-8
Evangelium: Lk 9, 46-50
Die heutige Lesung aus dem Buch Sacharja gehört vielleicht zu den schönsten Stellen des Alten Testaments. Sie stellt die lang ersehnte Rückkehr des Volks in seine alte Heimat in Aussicht. Es wird befreit werden aus dem Land des Sonnenaufgangs und des Sonnenuntergangs. Israel wird wieder in Jerusalem wohnen, und es wird eins sein mit Gott.
Es ist aber nicht eine Initiative der Menschen. Alles geht von Gott aus. Er ist es, der wieder einzieht in Jerusalem, auf den „heiligen Berg“ Zion zurückkehrt. Aber noch bevor das geschieht: Am Anfang steht ein Ausbruch, eine Aufwallung der Gefühle, wie würden wir heute sagen würden. Gott tritt glühend und mit Eifer für Jerusalem ein.
Warum macht er das? Geht es hier um eine frühe Form des Nationalismus, die wir heute in manchen Einsätzen kennen, wenn bestimmte Gruppen ein Land oder eine Stadt für sich reklamieren, weil sie immer schon hier waren, weil ihre Vorfahren hier gelebt haben, weil hier ihre heiligsten Orte sind. Denken wir an manche aktuelle Tendenzen im Kosovo oder gerade in derselben heiligen Stadt dreier Weltreligionen, von der hier bei Sacharja die Rede ist.
Natürlich gab und gibt es im modernen Israel wie in fast allen anderen Ländern religiös nationale bzw. säkular nationale Strömungen, aber in unserem Text geht es um etwas ganz anderes: Weder die Stadt noch das Volk werden als solche in irgendeiner Form glorifiziert. Heilig ist der Berg Zion nur, wenn Gott dort wieder wohnt. Und hier geht es auch nicht um Heiligsein und des Heiligseins willen, um einen Gott, der halt auch irgendwo wohnen muss und das dann zum hl. Bezirk erklärt und vor allen anderen Regionen privilegiert. Worum es eigentlich geht, kommt ganz am Schluss ganz deutlich heraus: Sie werden mein Volk sein, und ich werde ihr Gott sein, unwandelbar und treu.
Nur um dieser lebendigen Beziehung zwischen Gott und seinem Volk willen entscheidet sich Gott wieder, im Zion zu wohnen. Nach der Katastrophe des Abfalls von Gott, der Zerstörung der staatlichen Eigenständigkeit, nach Exil und Fremdherrschaft will Gott von sich aus einen Neuanfang einleiten. Er erweist sich von sich aus als treu trotz der Treulosigkeit seines Volkes. Deshalb wählt er den Zion, die Stadt Jerusalem, die Hauptstadt des Landes, weil er das vor langer Zeit von sich aus dem Volk versprochen hatte, als er es aus Ägypten herausgeführt hat. Deshalb heißt Jerusalem „Stadt der Treue“. Diese Bezeichnung erinnert gerade nicht an einen glorreichen Sieg oder eine entsprechende nationale Heldentat, sondern an die Zuverlässigkeit Gottes seinem Volk gegenüber. Größer könnte der Unterschied zu national motivierter militärischer Gewalt nicht sein.
In wunderschönen Bildern zeichnet unser Text vielmehr ein Bild des Friedens. Und das schönste dieser Bilder ist nicht ein Sonnenaufgang, ein stiller Wald, ein harmonisches Familienidyll oder eine Gruppe wohlgeformter Menschen, die lächeln – wie wir das aus manchen Werbungen kennen. Das schönste Bild, das Gott zeichnet, ist das Bild von alten Menschen, die auf den öffentlichen Plätzen sitzen. Alle haben Stöcke und sind uralt. Alte Menschen mit Stöcken erinnern uns heute eher an Gebrechlichkeit, Krankheit und Tod. Für Sacharja sind sie das schönste Symbol für die Fülle des Lebens, für ein Leben in Frieden und Sicherheit. Was gibt es Schöneres für eine Land, als wenn seine Soldaten alt werden und eines natürlichen Todes sterben dürfen. Was gibt es Schöneres für eine Gesellschaft, in der die Zahl der Alten zunimmt und auch den Jungen langes Leben verheißt. Was bei Sacharja ein Bild der Sehnsucht ist, das für die Betroffenen fast zu schön ist, nehmen wir fast schon als Selbstverständlichkeit hin und versuchen eher gegenzusteuern: Wir blenden die Gebrechlichkeit und das Alter aus und verschweigen den Tod, wo immer es geht.
Erst danach kommt das Bild mit der Jugend, das hier fast wie die Kehrseite des langen, erfüllten Lebens erscheint: Die Straßen der Stadt werden voll spielenden Knaben und Mädchen sein, d.h. sie müssen nicht in den Häusern geschützt werden, müssen nicht arbeiten, um der Familie das nackte Überleben zu sichern, niemand kommt, um sie zu versklaven oder – wie das heute in vielen Ländern der Fall ist – sie als Kindersoldaten zu rekrutieren für kleinräumige, verlustreiche Operationen im Graubereich zwischen Guerilla, Aufstandsbekämpfung und Kriminalität.
Danach vielleicht der Schlüsselsatz des ganzen Textes: „Wenn das dem Rest dieses Volkes in jenen Tagen zu wunderbar erscheint, muss es dann auch mir zu wunderbar er-scheinen?“ (V. 6) Wie das Bild mit den Greisen eine der schönsten „Definitionen“ eines dauerhaften Friedens ist, so ist dieser Satz vielleicht eine der schönsten Aussagen, die über Gott gemacht werden können: Er ist der, dem das nicht zu wunderbar erscheint, was den Menschen Wunderbares zustößt, selbst wenn es so wunderbar ist, dass die Menschen das gar nicht glauben können, wenn es geschieht – vielleicht weil sie so gewöhnt sind an das Unglück, aus dem sie nicht mehr heraussehen oder auch an das wirkliche Glück, das sie gar nicht mehr erkennen, wenn es ihnen eines Tages zustößt.
All das unterstreicht: Dieser Gott ist nicht ein Gott der Gedanken und der Ideen, son-dern des Lebens, des wirklichen Lebens an einem wirklichen Ort, in einer wirklichen Gemeinschaft von Menschen. Dieser Gott bleibt nicht dezent im Hintergrund wie eine schöne abstrakte Idee, sondern engagiert sich selbst, tritt glühend, mit großem Eifer ein für dieses konkrete erfüllte Leben der Menschen in Frieden untereinander und mit Gott. Dafür steht Zion und Jerusalem. Dorthin werden – wie es an anderen Stellen heißt – auch die anderen Völker am Ende kommen, weil es nichts Schöneres gibt als so zu leben.
Das möchte ich uns allen auch mitgeben für die beginnende Synode. Wenn es uns gelingt, als Kirche unter den Soldaten diesen glühenden Eifer Gottes für die Menschen und ihr Leben mit allen Schwächen und Unzulänglichkeiten zumindest bruchstückhaft zum Ausdruck bringen zu können, dann sind wir auf dem richtigen Weg. „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind“ – so das 2. Vatikanische Konzil – „auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ Das zum Ausdruck zu bringen ist unser eigentliches Ziel. Dazu ist es nötig, immer neu umzukehren, die eigene Position, das eigene Auftreten, die eigenen Institutionen zu überdenken und immer wieder neue Wege zu suchen.
Im heutigen Evangelium gibt Jesus uns dafür zwei Ratschläge mit auf den Weg, die aber auch, wie fast bei allen Worten Jesu, über moralische Ratschläge weit hinausgehen. Der erste ist, sich vom Streben nach Ehre und Anerkennung zu verabschieden. Keine großen aufsehenerregenden Taten sind nötig, um die Aufmerksamkeit Jesu zu erregen. Wer dieses kleine, schutzlose Kind ohne Hintergedanken aufnimmt, der nimmt Jesus selbst auf. Jesus sagt damit auch viel über sich und seine Sendung: Nicht in seinen übermenschlichen Fähigkeiten, seinen Heilungen, seiner Weisheit, liegt seine Göttlichkeit, das sind nur Zeichen und Hinweise. Seine Göttlichkeit liegt vielmehr in der schutz- und bedingungslosen Hingabe an den Vater für die Menschen, wie sie am Ende im Kreuz endgültig zum Ausdruck kommt. Papst Franziskus versucht besonders diese Dimension christlichen Lebens hervorzustreichen: Nachfolge, Bescheidenheit, Armut und Hingabe.
Ein solches Leben hat auch der heilige Hieronymus gelebt, dessen Gedenktag wir heute feiern. Er stammt aus einer reichen dalmatinischen Familie, bekam eine hervorragende Ausbildung in Rom. Er ließ sich später taufen und versuchte ein einfaches, asketisches Leben zu führen und diese Lebensform gegen jede Menge Anfeindungen aus den eigenen Reihen zu verteidigen. Arbeitsscheu war er auch nicht, wie seine unzähligen Übersetzungen und Bibelkommentare beweisen. U.a. geht die wichtigste lateinische Bibelübersetzung auf ihn zurück. Ich weiß, dass das nicht ganz bescheiden von mir ist, aber so einen Mann bräuchten wir auch auf unserer Synode: Mit seinen unglaublichen sprachlichen Fähigkeiten könnte er uns helfen, unsere Ideen, Anregungen und Visionen klar und präzise zu formulieren. Organisatorisch war er auch ziemlich begabt, er hat in Bethlehem vier Klöster gegründet, davon drei Frauenklöster! Billig unterzubringen und zu verpflegen wäre er sicher auch, wir bräuchten nicht einmal ein Zelt für ihn. Und wo-rum ich ihn am meisten beneide: Einer Überlieferung nach konnte er sogar wilde Tiere besänftigen…
Den zweiten Rat Jesu zielt auf eine Ausweitung der Perspektive ab: Wenn einer im Namen Jesu Dämonen austreibt, aber nicht direkt zur eigenen Gruppe gehört, dann ist er nicht von vornherein als Feind zu betrachten, der in meinem Revier wildert. Wie vorher bürstet er das Anliegen seiner Jünger wieder gegen den Strich: Nicht – wie wir auch heute gern meinen – wer nicht für mich ist, ist gegen mich, sondern: „Wer nicht gegen euch ist, der ist für euch“. Das ist vielleicht ein sehr schönes Motto für die Zusammenarbeit mit vielen Kameraden und militärischen Dienststellen, die sich uns vielleicht nicht zugehörig fühlen, mit denen wir aber gemeinsam zum Wohl der Soldaten und SoldatInnen und vieler anderer Menschen arbeiten können. Ganz besonders gilt das für unsere Geschwisterkirchen im Österreichischen Bundesheer, die beide hier auf der Synode vertreten sind, worüber ich mich besonders freue, sowie die anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften, mit denen wir bei verschiedenen Gelegenheiten sehr gut zusammenarbeiten.
„Mit großem Eifer trete ich ein für Zion, ich setze mich glühend ein für Jerusalem.“ Mit diesen Worten spricht Gott seinem Volk in einer schwierigen Zeit Mut zu. Mögen wir mit ähnlicher Freude und Eifer auf dieser Synode gemeinsam arbeiten, beten und feiern! Amen.