Statement während der "Stunde für den Frieden" auf Einladung von Bundespräsident Dr. Alexander Van der Bellen

Digitale Bibliothek: Friedensethische Positionen der Kirchen

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Quelle: Militärordinariat

2024-01-25 - Wien
Österreichisches Militärordinariat
- Freistetter, Werner, Militärbischof
Statement während der "Stunde für den Frieden" auf Einladung von Bundespräsident Dr. Alexander Van der Bellen

Entgegen der verbreiteten Ansicht, dass Religionen oder Religion überhaupt die Ursache vieler bewaffneter Konflikte sind und die Welt ohne Religion wesentlich friedlicher wäre, hat Papst Franziskus wie seine Vorgänger immer auf wieder das große Friedenspotential der Weltreligionen hingewiesen. Religion kann und darf nie als Legitimation für Kriege und die gewaltsame Durchsetzung wirtschaftlicher oder politischer Interessen herangezogen werden.

Als ehemaliger Leiter des Instituts für Religion und Frieden und Militärseelsorger in verschiedenen Konfliktgebieten, besonders auf dem Balkan, aber auch im Libanon und auf dem Golan, habe ich miterlebt, wie wichtig die Rolle der Religionsgemeinschaften für den Erhalt oder die Wiederherstellung eines dauerhaften Friedens in einer Gesellschaft ist. Ich habe aber auch erfahren, wie schwer es für manche religiösen Repräsentanten ist, ihr gesellschaftliches und politisches Engagement von der innersten Substanz ihres Glaubens her zu bestimmen und nicht umgekehrt, und wie groß oft die Versuchung ist, das Trennende zwischen Gruppen von Menschen im Rückgriff auf religiöse Unterschiede hervorzustreichen, um ganz andere Interessen damit zu verfolgen und bestehende Konflikte noch zu verfestigen.

Ich bin deshalb sehr froh, dass die Vertreter der Religionsgemeinschaften in Österreich einen freundschaftlichen Umgang miteinander pflegen und auf vielen Ebenen zum Wohl der Menschen in diesem Land und darüber hinaus zusammenarbeiten im Bewusstsein der geschwisterlichen Verbundenheit aller Menschen. Der Beitrag der Religionen ist angesichts der aktuellen Krisen und Herausforderungen (Krieg in Europa, im Nahen Osten, Aufnahme von Geflüchteten, Klimawandel und Bewahrung des „gemeinsamen Hauses“) meiner Einschätzung nach sogar von zunehmender Bedeutung.

Auch die religiöse Betreuung der Soldaten in Österreich, für die ich als katholischer Militärbischof zu einem Teil verantwortlich bin, ist von einer guten ökumenischen und interreligiösen Zusammenarbeit der sechs Militärseelsorgen geprägt. Wir Seelsorger tragen nicht nur dazu bei, dass die Soldatinnen und Soldaten unter den besonderen Umständen militärischen Dienstes ihr Recht auf gemeinsame und öffentliche Religionsausübung wahrnehmen können, sondern sind zudem dafür verantwortlich, den Bundesheerangehörigen die friedensethischen Grundsätze unserer jeweiligen religiösen Tradition aufzuzeigen und ihnen als persönliche Ansprechpartner auch in Gewissensfragen zur Seite zu stehen.