Kathpress-Interview anlässlich des Nationalfeiertags

Digitale Bibliothek: Friedensethische Positionen der Kirchen

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Quelle: Österreichisches Militärordinariat

2022-10-21
Österreichisches Militärordinariat
- Freistetter, Werner, Militärbischof
Kathpress-Interview anlässlich des Nationalfeiertags

1) Was sind ihre allgemeinen Gedanken zu diesem Nationalfeiertag 2022?

Am 26. Oktober 1955 hat Österreich mit dem Beschluss des Neutralitätsgesetzes seinen Willen erklärt, „für alle Zukunft und unter allen Umständen seine Unabhängigkeit zu wahren und sie mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen“ (Nationalfeiertagsgesetz vom 25. Oktober 1965, Präambel/Promulgationsklausel). Durch den Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine haben wir gesehen, wie schnell die Grenzen, die Unabhängigkeit und Souveränität eines europäischen Staates verletzt werden können, wie groß das Ausmaß an Zerstörung ist und wie viele Menschen direkt und indirekt von diesem Krieg betroffen sind. Österreich unterstützt die ukrainische Bevölkerung seit Beginn des Krieges durch die großherzige Aufnahme von Flüchtlingen und die Sendung von Ausrüstung und Hilfsgütern. Auch die Kirchen leisten dabei einen wichtigen Beitrag und bringen ihre Solidarität mit der Bevölkerung und den Schwesterkirchen in der Ukraine durch Besuche und verschiedene Formen der Unterstützung zum Ausdruck. Nehmen wir diesen Tag zum Anlass, für die Menschen in der Ukraine zu beten und seien wir bei allen Schwierigkeiten, mit denen wir gerade jetzt zu kämpfen haben, dankbar für die Freiheit, den Frieden und das demokratische politische Leben in unserem Land.

2) Im vergangenen Jahr ist viel geschehen, alles überschattet hat wohl der Angriff Russlands auf die Ukraine. Sie haben sich zu dem Thema bereits vielfältig zu Wort gemeldet, u.a. die Friedensordnung in Europa als "vor dem Ende" bezeichnet. Wie sehen sie aktuell die Entwicklungen in der Ukraine und auch in Russland selbst?

Ich verweise dazu gern auf die sicherheitspolitischen, strategischen und taktischen Analysen der Experten des Österreichischen Bundesheers, die regelmäßig in den Medien sehr kompetent über die aktuelle Lage berichten – unter Berücksichtigung der beträchtlichen Unsicherheiten aufgrund des erwartbaren Versuchs beider Kriegsparteien, wichtige Informationen zu kontrollieren bzw. zu manipulieren.

3) Manche Experten schätzen die Situation so ein, dass je schlechter es für die russische Seite aussieht, die Gefahr immer mehr steigt, dass Putin seine Drohungen – u.a. von Atomschlägen – wahrmachen könnte. Wie sehen sie das, teilen sie diese Befürchtung?

Es ist natürlich zu befürchten, dass jemand, der sich in die Enge getrieben sieht, auch zu Mitteln greifen könnte, die er sonst nicht verwenden würde, um seine Ziele doch noch zu erreichen. Und jede Drohung eines Nuklearstaats mit dem Einsatz ihrer Atomwaffen ist Anlass genug zur Sorge. Aber ich hoffe wie wir alle, dass der russische Präsident diesen Schritt nicht ernsthaft in Betracht ziehen wird, weil das auch für die russischen Ziele und ihn selbst sehr riskant wäre, wie er sicher sehr gut weiß.
Angesichts der nach wie vor bestehenden Gefahr eines Einsatzes von Nuklearwaffen setzt sich der Heilige Stuhl auf diplomatischer Ebene und in öffentlichen Stellungnahmen seit langem ganz massiv für nukleare Abrüstung und in weiterer Folge für die Abschaffung sämtlicher Atomwaffen ein.


4) Bei der Teilmobilmachung vor wenigen Wochen hat es Videos im Internet gegeben, in denen russisch-orthodoxe Geistliche Soldaten segneten, bevor diese an die Front reisten. Was denken Sie als katholischer Militärbischof bei solchen Bildern?

Menschen zu segnen gehört auch in unserer Kirche zu den wichtigen Aufgaben der Seelsorger. Warum sollten Militärseelsorger gerade jungen Soldaten den Segen verweigern, die in einen Einsatz gehen müssen, dessen Sinn sie vielleicht weitgehend nicht nachvollziehen können, in dem sie ihr Leben riskieren, ihre leibliche, psychische und moralische Integrität. Wenn das kirchliche Segnen von Menschen aber zur Legitimation eines Angriffskriegs oder zur Steigerung der Kampfbereitschaft missbraucht wird, widerspricht das klar meinem Verständnis von Militärseelsorge, ist das nicht mehr Seelsorge als Dienst an den Menschen.

5) Wie wird im Österreichischen Bundesheer über den Krieg gedacht? Was bekommen Sie in Ihren Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten dazu mit?

Viele Soldatinnen und Soldaten im Österreichischen Bundesheer zeigen sich erschüttert über die Ereignisse in der Ukraine und teilen mit fast allen Menschen in Europa und darüber hinaus die Sorge über die Gefahr einer weiteren Eskalation des Konflikts. Durch die steigenden Preise und offene Fragen bezüglich Energieversorgung und Lieferengpässen spüren sie die indirekten Folgen des Krieges in ihrem täglichen Leben.

6) Sehen Sie Seelsorger im ÖBH in einer solchen Situation, in der der Krieg plötzlich wieder sehr nah ist, besonders gefordert?

Ja, natürlich, wenn die Zeiten schwieriger werden, sind auch die Militärseelsorger besonders gefordert, weil dann auch persönliche Probleme zunehmen, mit denen sich die Bundesheerangehörigen und ihre Familien an sie wenden. Durch die räumliche Nähe eines Krieges in Europa können auch wieder verstärkt Gewissensfragen auftauchen, friedens- und militärethische Fragen sowie Fragen nach der Rolle der Kirchen und Religionsgemeinschaften in diesem und anderen Konflikten.

7) Auch in Österreich scheinen wir von einer Krise in die nächste zu schlittern. Aktuell haben wir es mit einer Inflation von 10 Prozent zu tun, Energie ist besonders von der Teuerung betroffen. Macht Ihnen das Sorgen?

Dass wir in Österreich von einer Krise in die nächste schlittern, halte ich für eine etwas überzogene Formulierung. Wir haben freilich Anteil an den Problemen, die mit dem Krieg in der Ukraine und anderen Ländern, der Corona-Pandemie, Hunger, Klimawandel und Elementarereignissen – ich denke da etwa an die schweren Unwetter in Südösterreich im Sommer – oder Engpässen im Welthandel zu tun haben, und natürlich macht mir das Sorgen, weil mehr Menschen auch in Österreich von Armut betroffen sein werden und wir alles versuchen müssen, die Not zu lindern und den negativen Folgen für den sozialen Zusammenhalt sowie einer zunehmenden Radikalisierung der politischen Landschaft entgegenzuwirken.

8) In der Weltkirche biegen wir derzeit in die nächste – kontinentale – Phase des Synodalen Prozesses ein. Wie haben Sie den Prozess in Österreich und in der Militärseelsorge empfunden?

Ich habe die Initiative des Papstes sehr begrüßt, die klassische Bischofssynode auszuweiten und alle Gläubigen einzuladen, sich daran zu beteiligen. Man darf sich inhaltlich von einem so breiten Prozess und so vielen Positionen wahrscheinlich keine revolutionären Neuerungen auf weltkirchlicher Ebene erwarten, aber der Prozess selbst ist so wertvoll, weil er das Bewusstsein festigt, dass wir alle zusammen, nicht nur der Papst oder die Bischöfe, die Kirche Christi sind und jede und jeder Einzelne seine Erfahrungen und seine Ideen einbringen kann und soll. In der Militärdiözese haben wir bewusst ganz breit angesetzt und eine Online-Befragung ins Leben gerufen, damit die Schwelle, sich zu beteiligen, möglichst niedrig ist und möglichst viele mitmachen können. Das ist uns, glaub ich, ganz gut gelungen.

9) Was erwarten Sie vom bevorstehenden Ad limina-Besuch der österreichischen Bischöfe im Dezember?

Ich freue mich auf den Austausch mit dem Papst und den Vertretern der neu aufgestellten Römischen Kurie über die Situation der Kirche in Österreich. Papst Franziskus verfolgt die Situation in den einzelnen Ländern mit großem pastoralem Interesse und wird uns sicher aus seiner globalen Perspektive den ein oder anderen guten Rat mitgeben können.