Weihnachtsbotschaft 2022

Digitale Bibliothek: Friedensethische Positionen der Kirchen

Volltext

Hier finden Sie nährere Details und eine kurze Einführung in das Dokument!

Quelle: Österreichisches Militärordinariat

2022-12-00 - Wien
Österreichisches Militärordinariat
- Freistetter, Werner, Militärbischof
Weihnachtsbotschaft 2022

Wenn wir in diesem Advent von neuem die biblischen Texte der Verheißung und der Hoffnung auf das Kommen des Messias gehört haben, so beginnen angesichts des andauernden Kriegs in Europa diese wunderbaren Bilder einer Zukunft in Frieden und Gerechtigkeit noch intensiver zu leuchten, und sie machen uns die Bitterkeit der Gegenwart, das Unrecht der militärischen Aggression, die Verbrechen des Krieges und das Leid der Bevölkerung mit besonderer Deutlichkeit bewusst.

Eine der eindringlichsten Visionen einer friedlichen messianischen Zukunft entwerfen die ersten neun Verse des elften Kapitels des Buchs Jesaja. Zuerst ist in botanischen Bildern die Rede von einem Reis aus dem Baumstumpf Isais, des Vaters König Davids, von einem Trieb aus seinen Wurzeln. Sie stellen den, der kommt, damit als königlichen Gesalbten (hebr. Messias, griech. Christos) vor.

Dieser ist erfüllt vom „Geist der Weisheit und der Einsicht“, „des Rates und der Stärke“, „der Erkenntnis und der Furcht des HERRN“ (Jes 11,2). Diese Dimensionen des Geistes, aus denen später in der theologischen Tradition die sieben Gaben des Heiligen Geistes werden, sind keine über- oder außernatürlichen Fähigkeiten eines religiösen Superhelden, die mit der Natur des Menschen nur wenig zu tun haben, sondern sie bezeichnen gerade die Vollendung dessen, was den Menschen zum Menschen macht: Vernunft, Fähigkeit zu erkennen und offen zu sein für das Ganze der Wirklichkeit in seinem verborgenen Grund.

So ist es nur konsequent, dass die Geisterfüllung den Träger nicht mit Macht und Privilegien zu seinen Gunsten ausstattet, sondern ihn zum Dienst ermächtigt, der Gerechtigkeit im konkreten menschlichen Zusammenleben zum Durchbruch zu verhelfen und die Schwachen in der Gesellschaft zu schützen: Er entscheidet nicht nach Augenschein und Hörensagen, „sondern er richtet die Geringen in Gerechtigkeit und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist.“ Und er setzt das alles durch nicht durch körperliche Gewalt oder ihre Androhung, sondern bloß durch sein Wort: „Er schlägt das Land mit dem Stock seines Mundes und tötet den Frevler mit dem Hauch seiner Lippen.“ (Jes 11,4) In der Sprache der Gewalt („schlägt“, „tötet“) wird durch den Bezug auf die Potenz des messianischen Wortes diese körperliche Gewalt zugleich für obsolet erklärt.

So schön und idyllisch die nun folgenden berühmten Sätze über den Tierfrieden auch klingen, nach den Aussagen über die Vollendung dessen, wozu allein der Mensch fähig ist, über Erkenntnis und Furcht des HERRN und das machtvolle Eintreten des Messias für soziale Gerechtigkeit mögen die Bilder aus dem Tierreich den Leser zunächst etwas ratlos zurücklassen. Aber wie auch die Bilder vom neuen Trieb auf etwas ganz anderes verweisen, geht es in diesem anspielungsreichen Text nicht vordergründig um Prognosen zum Verhalten der wilden Tiere beim Auftreten des Messias. Sie stehen einerseits für die mit dem Kommen des Messias einhergehenden Umwälzungen im menschlich-sozialen Bereich, andererseits verweisen sie auf den paradiesischen Frieden vor dem Sündenfall und dem Beginn der Gewaltgeschichte in der sog. biblischen Urgeschichte (Gen 1-11): Am Ende wird der paradiesische Friede nicht wiederhergestellt, sondern überboten sein: Selbst die Schlange wird den Menschen nicht mehr gefährlich werden, wie das im Paradies der Fall war: „Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter und zur Höhle der Schlange streckt das Kind seine Hand aus.“ (Jes 11,8)

Am Ende des Textes zeigt sich, worin die Wirkung des Gewalt und Gegengewalt überwindenden Wortes besteht: Es lässt alle Menschen Anteil haben an der Erkenntnis Jahwes, und wenn alle davon erfüllt sind, gibt es keinen Platz mehr für Unrecht und Gewalt: „Man tut nichts Böses und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des HERRN, so wie die Wasser das Meer bedecken.“ (Jes 11,9)

Dieser Vergleich spielt „auf ein anderes Bild der Urgeschichte“ an, das von Jesaja auf den Kopf gestellt wird: Während das Wasser in der Sintflut die Erde bedeckt und „alles Leben vernichtet“, steht das Wasser bei Jesaja für die Gotteserkenntnis, die das ganze Land erfüllt. (Die deutschen Bischöfe, Gerechter Friede 17)

Bitten wir Gott um diesen Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht, damit wir Zeugen seines Friedens werden und auf unsere je eigene Weise dazu beitragen können, ihn auf der ganzen Erde zu verbreiten; bitten wir ihn um jenen Frieden auf Erden, den die Engel den Hirten bei der Geburt des Messias verkündet haben.

Ihnen allen wünsche ich ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest!