Predigt anlässlich des Festgottesdienstes zum Weltfriedenstag 1996

Digitale Bibliothek: Friedensethische Positionen der Kirchen

Volltext

Hier finden Sie nährere Details und eine kurze Einführung in das Dokument!

Quelle: Diözesanblatt des Österreichischen Militärordinariates, Jahrgang 1996, 1. Folge, Wien, 1. November 1996, S. 2-4

1996-01-29 - Karlskirche, Wien
Österreichisches Militärordinariat
- Werner, Christian, Militärbischof
Predigt anlässlich des Festgottesdienstes zum Weltfriedenstag 1996

Die Botschaft des Papstes zum Weltfriedenstag 1996 lautet: Bereiten wir den Kindern eine friedvolle Zukunft. Diese Botschaft erinnert mich an ein tiefberührendes Ereignis. Es war, - fast vor einem Jahr -, in Sarajewo am 12. Februar 1995 um 10.00 Uhr. Ich durfte mit ca. 800 Kindern und Jugendlichen den Sonntagsgottesdienst feiern - in der schwer beschädigten Pfarrkirche St. Josef. Das Beten und Singen dieser jungen Menschen, in einer Stärke und Innigkeit, wie ich noch nie erlebt habe, war für mich der Ausdruck eines tiefen Glaubens und einer großen Hoffnung.
In beispielhafter Ehrfurcht empfingen diese jungen Menschen die heilige Kommunion, und anschließend wurde ich vor der Kirche zwischen zerschossenen Autos und Trümmern empfangen mit fröhlichen, begeisterten Tänzen und Liedern: es waren Lieder über den Frieden.
Unvorstellbar in dieser Situation, welche immer wieder durch Gewehrfeuer und Granateinschlägen erschüttert wurde. "Woher haben diese jungen Menschen diese Begeisterung und Hoffnung?" fragte ich den Kaplan, welcher mit der Gitarre mitten unter ihnen stand. "Das ist ganz einfach", sagte der Kaplan, "wir treffen uns wöchentlich zusätzlich zum Sonntagsgottesdienst - zu einem Gebets- und Bibelabend, zu einem, von den Kindern gestalteten Gottesdienst und versuchen einfach, die Gebote Gottes zu leben - das gibt diesen jungen Menschen Kraft und Hoffnung und macht sie in dieser Stadt des Schreckens zu Boten des Friedens." Ja, an dieses Erlebnis mußte ich mich spontan erinnern, als ich mich auf die Predigt zur Botschaft des Papstes zum Weltfriedenstag 1996 vorbereitet habe: "Bereiten wir den Kindern eine friedliche Zukunft."

Dort, damals in Sarajewo, war es umgekehrt: die Kinder bereiteten uns Erwachsenen eine friedliche Atmosphäre. Das erfüllte mich mit großer Dankbarkeit und Bewunderung!
Dennoch darf man, wie der Heilige Vater in seiner Botschaft in Erinnerung ruft, nicht verschweigen, wieviel Furchtbares Kinder als unschuldige Opfer von Kriegen erleben müssen: Millionen von ihnen sind in den letzten Jahren verwundet und getötet worden: ein regelrechtes Massaker. Viele Kinder werden sogar gezwungen selbst mitzukämpfen, Minenfelder zu räumen und vieles mehr. Nicht so auffallend, aber deshalb nicht weniger furchtbar erleben Kinder Unmenschliches in Zusammenhang von Armut und Gewalt: Kinderarbeit, Mißhandlungen, Prostitution, Sextourismus, Drogenverkauf, um bald selber abhängig zu werden, ohne Familie, auf den Müllhalden: Abfall, den man loswerden will.

Aber auch bei uns geht es vielen Kindern sehr schlecht: Denken wir an Spannungen in Familien, die vielen zerbrochenen Ehen, Mißhandlungen, Quälereien, Mißbrauch, Tötung von Ungeborenen, - und alles hinter dem Anschein der Normalität, Heiterkeit und des Übermaßes. Die Folge: Einsamkeit. Wichtigster Bezugspunkt ist der Fernseher, welcher vielfach alles andere als Lebensorientierung bietet.
All das dringt in die Herzen der Kinder und erzeugt Egoismus, Erniedrigung, Feindseligkeit und Haß. Vieles könnte man noch aufzählen, aber Gott sei Dank gibt es auch viel Positives und Hoffnungsvolles: Lebhafte Anerkennung verdienen die vielen humanitären und religiösen Organisationen, die vielen Familien, welche Kinder liebevoll aufnehmen. Eine große Anzahl von Eltern, Lehrern, Pädagogen, Kinderdörfer, welche sich aufopfernd bemühen, Kindern ein schönes, friedvolles Leben zu ermöglichen. Kinder beobachten sehr gut und spüren sehr schnell wo, echte Liebe gelebt wird: gegenseitige Achtung und Annahme, Zuhören, Teilen, Dankbarkeit und Vergebung: alles wichtige Voraussetzungen in der Erziehung zum Frieden. Sind wir uns bewußt: Die Kinder von heute sind die Erwachsenen des 3. Jahrtausends. An ihnen - und für sie - haben wir uns zu bewähren, jetzt und heute. Wir haben es ja bei unseren Soldaten nicht mit Kindern zu tun, dennoch spüren erfahrene Kommandanten die fast "kindliche Zerbrechlichkeit, Unsicherheit, ja Ängstlichkeit" vieler Grundwehrdiener, auch wenn sie männliche Härte vorgeben.
Dies ist ein Erscheinungsbild unserer Gesellschaft, in welcher es immer schwieriger wird, frohe Kindheit und ein mit viel Verständnis und Zeit begleitetes Heranreifen und Erwachsenwerden an sich zu erfahren. Das ist vielfach die Ursache innerer Friedlosigkeit.
Nehmen wir Verantwortliche im Österreichischen Bundesheer eine wichtige Aufgabe wahr: Aus der Erfahrung mit vielen frustrierten, friedlosen und daher aggressiven jungen Menschen müssen wir für unsere Soldaten Erzieher zum Frieden sein. Das Bundesheer wird dadurch zu einer wichtigen "Schule des Friedens."

Es gibt schon viele Beispiele dafür: Unzählige Gruppen von Offizieren und Unteroffizieren samt ihren Familien betreuen Tausende von Kindern, Behinderte, Arme und in Schwierigkeiten Geratene. Meine aufrichtige Anerkennung und mein besonderer Dank!

Das Wesentliche aber an der Botschaft des Papstes zum Weltfriedenstag ist die "Frohe Botschaft" selbst:
Der Friede ist ein Geschenk Gottes; aber es hängt von den Menschen ab, dieses Geschenk anzunehmen, um eine friedliche Welt aufzubauen. Dies vermögen sie nur, wenn sie die Einfachheit des Herzens von Kindern haben. Das ist einer der tiefgründigsten und paradoxesten Gesichtspunkte der christlichen Botschaft:

Werden wie die Kinder! Gott wird zwar mit Macht und Herrlichkeit am Ende der Zeiten kommen, aber als bedürftiges, armseliges Kind wurde Gott Mensch: er liebte besonders die Kinder: "Wer dieses Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf" (Lk 9,48). Er schützt die Kinder und warnt vor dem Bösen: "Wer einen von diesen Kleinen zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde" (Mt 18,6).
Und seine Jünger, - das heißt auch uns - fordert er auf, umzukehren und zu werden wie Kinder.
Die Erwachsenen müssen von den Kindern die Wege Gottes lernen:
1. Ihre Fähigkeit zu Vertrauen und Hingabe: Denn der Glaubende weiß, daß auch dort Hoffnung ist, wo es Schwierigkeiten gibt, weil er auf einen Gott zählen kann, dessen Wille die Eintracht aller Menschen in Gemeinschaft mit Gott ist. Denken wir an die vielen großen Persönlichkeiten, welche sich aus dem Glauben heraus um den Frieden bemüht haben: ein John F. Kennedy, Martin Luther King, Mutter Teresa, Gandhi und viele mehr. Aber auch in unserem Land: ein Julius Raab, ein Leopold Figl, um nur einige zu nennen. Alles Menschen, welche im wahrsten, tiefsten Sinn "Kindsein" gelebt haben.
2. Kinder können in uns die Sehnsucht wecken nach dem Ursprung, nach unserer Heiligkeit und Unschuld. Wir alle sind von Gott geliebt; angenommen wie wir sind, und auch angewiesen wie ein Kind: "Ohne mich könnt ihr nichts tun" sagt der Herr. Das Kind kennt die Lüge nicht, hat eine Spontanität zum Schöpfer, nimmt die Umwelt wörtlich, wie sie ist.

Nicht Cleverness, Ellbogentechnik, rücksichtsloses Karrierestreben, Machtgelüste sind gefragt: sondern Offenheit, Vertrauen, Geradlinigkeit, Wahrhaftigkeit, Freude, Ehrfurcht und Fürsorge.
Der Hauptmann von Kafarnaum ist für uns ein hervorragendes Beispiel: Jesus lobt ihn, ob seines großen Vertrauens auf Gott und seiner Fürsorge für seine Soldaten.

Abschließend möchte ich noch einen Blick auf Maria werfen: Die Ereignisse ihres Kindes Jesu bewahrte sie in ihrem Herzen, bedachte sie, ja man kann sagen: sie meditierte sie. Dadurch lernte sie, was Gott mit uns allen vorhat. Probleme, Kreuz und auch Tod bleiben uns nicht erspart, aber wer sich Gott anvertraut, der hat auf starken Fels gebaut, auf einen Fels, der Frieden und Gerechtigkeit heißt, bis zu unserer Vollendung im ewigen Frieden.

12. Februar 1995 - 1000 Uhr: Gottesdienst in Sarajewo mit 800 Kindern und Jugendlichen.
Mitte Februar 1996 verlegen unsere Soldaten des Österreichischen Bundesheeres nach Bosnien, um vor allem die Ärmsten der Armen, die Kinder zu schützen, ihnen zu helfen, nicht nur als Transporteinheit für Nahrung und Gerät, sondern als Transporteinheit für Frieden; sie bereiten vor allem den Kindern eine friedliche Zukunft. Gott schütze sie.
Gott schütze unser Vaterland Österreich und schenke vor allem den Menschen im ehemaligen Jugoslawien Frieden.