Besuch des Militärbischofs beim Österr. KFOR-Kontingent im Kosovo

Digitale Bibliothek: Friedensethische Positionen der Kirchen

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Quelle: Diözesanblatt des Österreichischen Militärordinariates, Jahrgang 1999, Nummer 2, 1. Dezember 1999, S. 5-7

1999-11-18 - Kosovo
Österreichisches Militärordinariat
- Werner, Christian, Militärbischof
Besuch des Militärbischofs beim Österr. KFOR-Kontingent im Kosovo

Die Gegenwart leitet sich aus der Geschichte ab - mit diesen Worten ist eine Informationsschrift über den KOSOVO übertitelt. Ich habe versucht, mich kurz darin zu informieren und festgestellt, wie vielschichtig und kompliziert sich die heutige Situation entwickelt hat und wie schwer sich Menschen tun, miteinander zu leben: Menschen verschiedener Kulturen, Religionen, geschichtlicher Vergangenheiten, Ansprüchen u.v.m. Skeptiker sagen: kaum Lösungen in Sicht, bei soviel Hass, Gewalt und Anarchie. Andere sagen wieder: die sollen ihre Probleme selber lösen.

Wir Österreicher (Soldaten, Caritas, verschiedene Hilfswerke) sind gekommen, um zu schützen und zu helfen, im Bewusstsein, dass wir Mitverantwortung tragen im Dienst am Frieden auch außerhalb unseres Landes, dass wir Menschen weltweit schon so „vernetzt“ sind, dass es gar kein „Heraushalten“ mehr geben kann und darf.
Besonders uns Christen ist der Auftrag zum Dienst am Frieden gegeben; aber dies bedeutet nicht nur ein „In Pflicht genommen sein“, sondern auch das Erhalten von notwendiger Kraft und Hilfe: nämlich Gottes Hilfe.

Ich hab' mit dem Satz begonnen: die Gegenwart leitet sich aus der Geschichte ab. Ich hab' euch heute auch eine Geschichte vortragen lassen, eine Geschichte, welche aber unveränderlich ist, zu allen Zeiten Gültigkeit hat, und derzeit in diesem Land das Gebot der Stunde ist: Die Geschichte von der barmherzigen Liebe, die Geschichte, welche uns hineinführen will in die Wahrheit, dass wir alle Kinder Gottes sind, dass wir alle vor Gott Geschwister, Brüder und Schwestern sind: ohne Ausnahme.

Nur solches Denken und Handeln kann ein erster Schritt zum Frieden untereinander sein. Nur so werden wir die Wichtigkeit der Tugenden erkennen, die da heißen und uns motivieren zum guten Tun: Besonnenheit, Augenmaß, Toleranz, Geduld, Treue, Verlässlichkeit, Ehrfurcht, Friedensliebe, Solidarität, Gelassenheit, Ruhe und Sicherheit.

Solange wir zurückdenken können, gab es Friedenskonferenzen aller Art, auch der Religionsgemeinschaften, Gipfeltreffen der Staatsmänner und doch ist die Welt heute mehr denn je zerrissen von Misstrauen und Unsicherheit, vor Angst vor Katastrophen neuer Kriege.
Wenn der Papst 1986 zum Gebetstag für den Frieden nach Assisi alle Religionen aufrief, ja alle Menschen eingeladen waren, dann trifft dieser Appell das Wesentliche, den Punkt, der das Scheitern aller bisheriger Bemühungen verursacht hat: die Gottlosigkeit und Gottferne der Menschen.

Der Friede ist eine Frucht der Bekehrung zu Gott. „Ehre sei Gott in der Höhe - und Frieden den Menschen auf Erden“, so werden wir's bald im Weihnachtsevangelium hören - und da ist die Reihenfolge wichtig: zuerst Anbetung Gottes, dann wird es Frieden geben.
Das will unser gemeinsamer Vater von seinen Kindern und daraus erwächst die Grundhaltung, welche wir heute im Evangelium vom barmherzigen Samariter gehört haben. Was dem Überfallenen auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho geschah, kann jedem von uns - besonders hier im Einsatz - geschehen.

Unser Leben ist lebensgefährlich - da können wir uns noch so selbstsicher und stark gebärden. Daher gilt „Vorsicht“ - keine übertriebene Ängstlichkeit. Wer vorher bedenkt, was auf ihn zukommen kann und der sich dementsprechend verhält, der hat Überlebenschancen. Doch mit Vorsicht allein lässt sich nicht leben.
Die Zuversicht muss hinzukommen, der Mut, die Klugheit. Diese Haltung überwindet alle übertriebene Ängstlichkeit. Jesus sagt es so: „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben!“ (Mt 16,10).

Vorsicht und Zuversicht gehören zusammen, wie Schlangenklugheit und Taubeneinfalt. Jeder von uns ist schon mehr oder weniger hilflos am Boden gelegen, und weiß, wie dankbar man ist, wenn man die Nähe eines Mitmenschen erfahren darf.

So auch beim überfallenen und Niedergeschlagenen im Evangelium. Wie sehr kam Hoffnung in ihm auf, als die beiden Tempeldiener in seine Nähe kamen. Warum aber gingen diese beiden vorbei? Weil sie selber Angst hatten und diese Angst ihnen das Herz zuschnürte, ja lähmte. Wie leicht kann auch bei uns der Nächste, der Kamerad zum Fernsten werden, weil unser Herz verschlossen ist.

Aber es gibt, Gott sei Dank, auch die Offenheit, das Vertrauen, das Aufeinander zugehen. Der Samariter klagt nicht über die Räuber, schimpft nicht über gewissenlose, verbrecherische Schuldige. Er redet nicht, sondern er handelt! Schlicht und ohne große Worte - übrigens eine große Gefahr in unserem „Helfen“: jetzt kommen wir, die Besseren!?
Der Samariter erweist sich als eine vollentfaltete Persönlichkeit, die sich durch Selbstbeherrschung, innere Freiheit, Herzlichkeit, Sachlichkeit und Kompetenz auszeichnet. Sein ganzes Tun ist durchformt, ja - durchseelt von einer auffallenden Zärtlichkeit; verstanden als Einfühlsamkeit, Achtsamkeit, Behutsamkeit, Ehrfurcht, als Hinneigung zum Schwachen, Hilflosen und Leidenden. Er liebt!

Wie kommen wir zu solch einer Liebe? Dadurch, dass wir sie einüben, trainieren, wenn ihr wollt: schon Zuhause, in der Familie, in der Kaserne, am Arbeitsplatz, jetzt hier im Camp, bei den Patrouillen, jeden Tag, bei jeder Gelegenheit. Dann werden wir's auch erbringen im Notfall.

Zurück zum Evangelium: In der Person des barmherzigen Samariters steht Jesus selbst vor uns.
In ihm wollte Gott, der Allmächtige, weit Entfernte, eines jeden Menschen Nächster sein. Immer wieder neu lenkt er unseren Blick auf den notleidenden Menschen: ihn zu sehen, hinzugehen, und sich mit großer Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft ihm beizustehen, aufzurichten.

Ja, so sehr hat Jesus sich zum verwundeten Menschen, zur verwundeten Menschheit herab geneigt, dass er am Ende seines irdischen Lebens selbst als der Verwundete und Zerschlagene der Öffentlichkeit vorgestellt wird: „Seht, welch ein Mensch!“

Aber das Volk, die Menschen haben kein Erbarmen, ja sie erzwingen seine Hinrichtung! Zwei Räuber hängen neben ihm. Auch diesen beiden ist Jesus nahe. Aber es kommt auch auf die Nähe des Anderen an: Der eine macht zu, der andere öffnet sich und bittet: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst“. Und Jesus antwortet ihm: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,42.43).

Dem Überfallenen gibt Jesus als Samariter Herberge, dem Todeskandidaten - selber am Kreuz hängend - gibt er das Paradies. Das ist für mich, vor allem für uns Soldaten Trost, Hoffnung, Ermutigung: Immer ist uns Jesus sehr nahe, er heilt körperlich, aber vor allem seelisch.
In soldatischer Sprache kann man sagen: das Bußsakrament, die heilige Beichte, ist der Hauptverbandsplatz des barmherzigen Samariters. Fühlst du dich matt, ausgelaugt, dann lass dich durch Jesus stärken: durch Gebet, Busse, heilige Kommunion. Und du wirst sehen: immer mehr wirst auch du ein barmherziger Samariter. - Ein Soldat voll Mut, Opferbereitschaft, Einsatzfreudigkeit und echter Kameradschaft zu allen, die deine Hilfe am nötigsten brauchen.
„Was kann uns scheiden von der Liebe Christi“, ruft uns Paulus, der Soldat Christi zu, „Not, Verfolgung, Hunger, Kälte, Gefahr Tod? Alles überwinden wir durch den, der uns geliebt hat!“ (Röm 8,34.35)

Kameraden! Solch' eine Zusage gibt uns Kraft, wahre Samariter zu sein, Diener des Friedens.
Ich danke für euren Dienst, bei jeder Predigt in der Heimat erzähle ich von eurem Einsatz und wir sind stolz auf euch.

Gott schütze euch und schenke - auch durch eure Hilfe - den Menschen in dieser Region Frieden, Freiheit und die Kraft zu einem Miteinander und Füreinander. Beispielgebend seien da alle Religionsgemeinschaften: sind wir es doch, die den Frieden Christi unter die Menschen bringen sollen. Und vergesst nicht: seid barmherzige Samariter! Amen.