Predigt zum Weltfriedenstag 2005

Digitale Bibliothek: Friedensethische Positionen der Kirchen

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Quelle: Diözesanblatt des Österreichischen Militärordinariates, Jahrgang 2005, 2. Folge, Wien, 23. Juni 2005, S. 5-7

2005-06-09 - Wien, Stephansdom
Österreichisches Militärordinariat
- Werner, Christian, Militärbischof
Predigt zum Weltfriedenstag 2005

Die Osterfeiertage verbrachte ich bei den Soldaten am Golan und wir feierten die Osternachtliturgie mitten in der Trümmerstadt Qunaitra in der fast gänzlich zerstörten orthodoxen Kirche: ein Fest des Friedens, ein Fest der Auferstehung.
Ein für alle unvergessliches Erlebnis.
Ein Friedensfest mitten auf dem Schutthaufen des Hasses.

Ein ähnliches Bild erlebten wir jetzt öfter in den Medien:
Zweiter Weltkrieg, Ende des Weltkrieges: Trümmerhaufen und entsetzte Menschen, weinende Kinder.

Dennoch feiern wir – Gott sei Dank!
60 Jahre Republik, 50 Jahre Staatsvertrag.
Unvergesslich das Zeugnis des damaligen Außenministers Figl nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags: „Bis jetzt haben die Österreicher den Schmerzhaften Rosenkranz gebetet, jetzt beten wir den Glorreichen Rosenkranz“.

Wir Österreicher bekamen die Kraft, eine neue, friedvolle Zukunft zu schaffen.

Aber immer wieder begegnet uns soviel Unfrieden unter den Menschen. Warum immer wieder dieser Unfriede, dieses Böse?

Ich denke, eine Hauptursache dafür ist der menschliche Egoismus, auch oft in Interessensgruppen: die meisten Menschen begegnen eigentlich immer wieder nur sich selbst.

Das hat vielfach zur Folge, dass der Mensch nur auf sich selbst und die von ihm gemachten und geprägten Probleme stößt.
Er weiß nicht mehr, was es ist, auf eine Stimme zu hören, die nicht aus dem eigenen Herzen und der eigenen Vernunft entspringt.

Darum wird er mit seinen Problemen nicht mehr fertig: gespaltene Ehen und Familien, gespaltene Völker, eine gespaltene Welt, eine gespaltene Christenheit sind der leidvolle Ausdruck dieses Weltbildes.

Leider ist die Isolierung des Menschen auf sich selbst soweit fortgeschritten, dass er unsicher ist, ob es überhaupt Stimmen gibt, die ihn von außen anreden können.

Für uns Christen ist das Evangelium die Stimme als Ausweg aus allen Sackgassen und Irrwegen unseres Lebens.
Schon im Alten Testament heißt es: „Für den Gottlosen gibt es keinen Frieden“ (Jes 48,22).

Die Abkoppelung des Menschen von Gott trennt ihn von der schöpferischen und erneuernden Kraft des Heiligen Geistes und wirft ihn immer wieder auf die eigene Kleingeisterei zurück.

Der Friede ist also eine Frucht der Hinkehr zu Gott: “Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden“, so singen wir Christen, so heißt die Weihnachtsverheißung – in der gleichen Reihenfolge: ohne Anerkennung und Anbetung Gottes gibt es keinen Frieden für die Menschen auf Erden.

Wir sehen dies zum Beispiel im Blick auf die Situation u.a. im Irak.

Was immer man über den Sinn oder Unsinn, über das Recht oder Unrecht eines Krieges denken mag, eines ist offen-kundig: Er hat die Kette der Gewalt nicht zerbrechen können.

Er hat die Quellen des Terrors nicht zu versiegen vermocht: unvermindert geht der Terror weiter und wird zu einer Signatur unserer Zeit.

Im dankbaren Gedenken an unseren Papst Johannes Paul II. erinnere ich mich seiner Worte: „Gewalt kann letztlich nicht durch Gewalt überwunden werden, sondern nur dadurch, dass ihre Wurzeln bloßgelegt und geheilt werden“.

Aber da ist nun die Frage: Wie finden wir diese Wurzeln?

Und die schwierige Frage: Welche Kräfte sind im Stande, diese Wurzeln absterben zu lassen? Ohne Zweifel ist das zunächst die Aufgabe der Politik, Macht und Gewalt unter das Maß des Rechtes zu stellen.

So gilt nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts, die Gewalt umwandelt in einen Dienst des Friedens.

Da wird freilich sichtbar, dass es um ein gerechtes Recht geht und dass die Politik Kräfte braucht, die nicht in ihr selber liegen. Sie müssen lebendig gegenwärtig sein und leuchten in einem Volk.

In unserer vielgestaltigen Öffentlichkeit haben alle anerkannten Religionen das gleiche Recht auf Religionsfreiheit, das Recht auf ihr gebildetes Gewissen zu hören.

Das heißt aber auch, dass die Religion und die moralischen Kräfte, die sie in sich trägt, nicht nur ins Private hineingehören, sondern nach einem Zeugnis drängen und die Öffentlichkeit durchdringen.

Wir Christen müssen hineinwirken in die Öffentlichkeit, als katholische Soldaten besonders in unsere Kasernen, damit die Menschen nicht wertleerer, nicht moralleerer und nicht gottloser werden.

Von den Kräften des christlichen Glaubens hat Europa sein moralisches Gesicht und seine geistige Würde erhalten – das dürfen wir nie vergessen und es auch schriftlich festhalten.

Durch das Kreuz wird niemand beleidigt.
Es ist Ausdruck der Versöhnung und des Heiles für alle Völker.
Der Friedensgruß und Friedensauftrag des Auferstandenen gilt für alle Menschen guten Willens.

Wir sehen: eine persönliche Entscheidung für Gott ist notwendig, um aus dem selbstgezimmerten Dilemma herauszukommen. Entscheidung für Gott ist jederzeit möglich, hat doch Gott selbst uns zugesagt: „Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt“ (Jer 31,3).

Das Thema des Weltfriedenstages 2005 heißt: „Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute“.

Dieses Wort stammt aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer. Was heißt das konkret für uns?

Wir haben uns, wie damals die Römer (auch heute), nicht in einer wertneutralen Umwelt zu entscheiden, sondern in einer Welt „von Götzen“, in welcher Menschen vorletzten Werten einen letzten Wert geben und sie damit schließlich vergötzen: z.B. der materielle Nutzen, Prestige, soziale Würde, ideologische Zielsetzungen u.v.m.

Hier kommt das 1.Gebot zur Geltung:
„Du sollst keine fremden Götter neben mir haben“, d.h. du sollst dem Bösen keine Chance in deinem Leben geben, sondern es durch das Gute überwinden.

Im Johannes-Evangelium heißt es: „Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“ (Jo 1,12). Der Dienst an Gott gibt uns die Macht, uns vom Kampf in der Gesellschaft und in der Welt um den 1.Platz zu befreien. Der erste Platz gehört nämlich Gott.

Und dann brauchen weder Mann noch Frau, weder Vater noch Mutter, weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber, weder Rekrut noch Offizier um den 1.Platz, also um ihre sogenannten Rechte kämpfen.

Dann brauchen auch die Kinder nicht untereinander oder die Eltern mit ihren heranwachsenden Kindern zu streiten.

In der Hausordnung Gottes heißt es nicht: „Kämpfe um deine Rechte“, sondern: „Einer trage des anderen Last“ (Gal 6,2). Die Gotteskindschaft befreit uns von Klassenhass, Rassenhass und Völkerhass. Da gehört viel Mut und Tapferkeit (Zivilcourage!) dazu!

Ich wiederhole: Glaube ist nicht ein Sich-Zurückziehen, eine „Privatangelegenheit“, sondern heißt, mit anderen unser Leben und unseren Glauben zu teilen.

Der Glaube lebt, indem er sich den anderen mitteilt und zum Sauerteig in der Gesellschaft wird.

Erst durch das Zusammenwirken von Kirche und Staat, gewinnen wir Kraft und Substanz, so dass wir gemeinsam, gleichsam im Schulterschluss, die Welt vom Bösen zum Guten hin verändern können.

Leider leben wir vielfach nach den Slogans:
Wie du mir, so ich dir. Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus. Hier gibt es keine Hoffnung mehr! Hier wird Böses mit Bösem vergolten. Eine solche Welt ist und bleibt heillos.

Gott sei Dank hat sich Gott nicht zurückgezogen, sondern ist Mensch geworden, um auf die Menschen zuzugehen.

Dieses Gefangensein von Aktion und Reaktion ist aufgebrochen.

Gott sendet seinen Geist des Friedens und der Liebe aus, und alles wird neu geschaffen und erneuert.

Natürlich „kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es den bösen Nachbarn nicht gefällt“, aber das Apostelwort, das Böse durch das Gute zu überwinden, sieht allem Realismus dieser Gegebenheit ins Auge – aber es reagiert zuerst durch das Gute.

Vertrauen wir auf das Wort des Apostels Paulus: “Wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden” (Römer 5,20).

Und selbst, wo Gewalt angewendet werden muss, der Mensch dem Bösen wehren muss, zu Schutz und Hilfe eingesetzt wird, muss es als Ultima Ratio („letztes Mittel“) geschehen, um das Böse in das Gute zu führen.

Wo der kleine Geist des Menschen sich dem Geist des Evangeliums öffnet, dort wird die Welt neu.

Dann gibt es nicht mehr das reaktionäre Verhaltensschema: „Wie du mir, so ich dir“, sondern das schöpferische: „Wie Gott mir, so ich dir“.

Diese Einsicht und schöpferische Kraft wünsche ich, mit Gottes Hilfe, uns allen.

AMEN