2. Die Entwicklung des Soldaten zum "miles protector".
Gewalt und Drohung mit Gewalt waren immer Teil der menschlichen Existenz, ebenso die Notwendigkeit, sich selbst, seine Güter und Ressourcen und nicht zuletzt seine Religion vor ihr zu schützen. Die Verpflichtung des Einzelnen, auch hier einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten, schloss immer die Aufgaben des Wächters oder des Soldaten mit ein.
Nach den Erfahrungen, besonders des 20. Jahrhunderts, gibt es heute einen breiten Konsens der internationalen Staatengemeinschaft darüber, unter bestimmten Voraussetzungen zugunsten bedrohter Staaten oder Volksgruppen zu intervenieren. Diese Entwicklung vollzog sich besonders im Rahmen der Organisation der Vereinten Nationen. Die Charta der Vereinten Nationen und die in diesem internationalen Forum erklärten allgemeinen Menschenrechte bilden im Vollzug eines VN-Mandates eine wesentliche politische und rechtliche Begründung auch für einen letztlich viel-leicht notwendigen Einsatz von Waffen, wie dies auch in der Friedenslehre der Katholischen Kirche als zulässig beurteilt wird. Auf dieser Grundlage hat sich seit dem ersten Einsatz von Soldaten auf Grund eines Mandats der Vereinten Nationen im Jahre 1948 (UNTSO) deren Aufgabenbereich ständig erweitert. Waren es zu Beginn vor allem die Funktion des fachkundigen Beobachters, die Trennung von Streitparteien und Verifikationsaufgaben, erweiterte sich das Aufgabenspektrum im Rahmen der Peace Support Operations auf fast alle militärischen Einsatzformen.
Diese Entwicklung des Auftrages des Soldaten von der nationalen Verteidigung hin zum "miles protector" in internationaler Solidarität stellt den Soldaten vor neue ethische Herausforderungen.
3. Ethische Forderungen an den Soldaten.
Der Mensch ist in seiner moralischen Integrität auch heute vielfach gefährdet. Der zunehmenden internationalen Verflechtung, den Bemühungen eines Ausgleiches von nationalen Interessen innerhalb internationaler Foren stehen enor-me wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Unterschiede zwischen den Regionen und Staaten, Mangel an Ressourcen, Migrationen, drängende Probleme bedrohter Minderheiten und kritische Entwicklungen innerhalb mancher Staaten und Regionen gegenüber, die immer wieder zu Ausbrüchen von Gewalt führen.
Auch ein legitimierter Einsatz von Streitkräften, vor allem aber die Anwendung von Gewalt zur Abwendung derartiger Gefahren, steht immer in einem komplexen Spannungsfeld theologischer, ethischer, rechtlicher und humanitärer Normen. Dies verlangt vom Soldaten ein besonders großes Verantwortungsbewusstsein. Bei diesen ethischen Forderungen ist stets mit zu bedenken, dass erst der Einsatz den Soldaten mit vielen Faktoren konfrontiert, die im Friedensalltag so gut wie keine Rolle spielen. Abwägungen, wie sie Soldaten, besonders Vorgesetzte, im Einsatz treffen müssen, bleiben im Frieden weitgehend theoretisch und damit ohne wirkliche oder womöglich schwerwiegende Folgen. Übungen und Simulation bereiten den Soldaten in seinem fachlichen Bereich auf die hohen seelischen und körperlichen Belastungen im Einsatz vor. Auch für die vom Einzelnen gefor-derte Anwendung ethischer Normen im Ernstfall gibt es freilich eine Vorbereitung: Das Leben in und außer Dienst täglich verantwortungsbewusst und nach dem Gewissen zu gestalten; das Gewissen bleibt die letzte Instanz für persönliche Entscheidungen. Um aber ein Gewissen bilden zu können, bedarf der Ein-zelne sowohl einer gültigen Werteordnung als auch einer ausreichenden Sachkenntnis. Ansatzpunkt hierzu bieten die großen ethischen Traditionen, so die Goldene Regel aus der Bergpredigt (Mt 7, 12) - "Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen".
Für die Erfüllung seines Auftrages soll er bestrebt sein, sich jene grundlegenden Eigenschaften anzueignen, die ihm in seinen Entscheidungen und seinem Handeln helfen können, es für andere nachvollziehbar machen und ihn selbst vor schweren Fehlern bewahren:
- Klugheit, als Fähigkeit zur Unterscheidung von Gut und Böse in konkreten Situationen,
- Gerechtigkeit, die Achtung vor der Würde, den Rechten und den legitimen Ansprüchen des Anderen,
- Stärke, die Kraft, konsequent zu Wertordnungen und Entscheidungen zu stehen, aber auch dazu, später erkannte Fehler zu korrigieren,
- Maß, die Fähigkeit, die Stärken und Schwächen, die Leistungsfähigkeit bei sich selbst und bei anderen zu erkennen und zu berücksichtigen.
III. Auf dem Weg zum Frieden
Was erwarten wir?
1. Der katholische Soldat am Beginn des 3. Jahrtausends
Im Bewusstsein seiner Verantwortung gegenüber Gott dient der katholische Soldat seinem Vaterland, seinen Mitbürgern und der mit diesen geteilten Wertordnung. Er steht aber auch in der Pflicht, Aufgaben zu erfüllen, die sich aus Bündnisverpflichtungen oder der internationalen Solidarität gegenüber Menschen ergeben, deren Menschenwürde und Menschenrechte verletzt werden.
Er erfüllt seinen Auftrag, wenn notwendig, auch unter Einsatz seines Lebens. Im Wissen um seine Aufgabe und um die Wirkung moderner Waffensysteme achtet er Würde und Menschenrechte eines Gegners und sucht Verletzungen und Schäden bei der Zivilbevölkerung zu vermeiden.
Er gehorcht rechtmäßigen Befehlen in Respekt vor den Gesetzen seines Landes, den völkerrechtlichen Normen und internationalen Vereinbarungen in Übereinstimmung mit seinem Gewissen. So soll er bereit sein, seinem Gewissen entsprechend unrechtmäßige Befehle abzulehnen, und die Konsequenzen seines Handelns zu tragen.
Der Soldat handelt ehrenhaft und korrekt, loyal und diszipliniert, offen und couragiert. Dies gilt besonders im Einsatz, sei es als Angehöriger eines nationalen oder multinationalen Verbandes. Er achtet andere Menschen und respektiert deren Religion, Kultur und Wertordnung. Er verhält sich dort zurückhaltend, wo sein Auftrag oder seine Funktion eine neutrale Position gegenüber politischen oder weltanschaulichen Fragen oder gegenüber anderen Religionen erfordert.
Besonders bei internationalen Einsätzen ist sich der Soldat bewusst, dass er als Repräsentant seiner Streitkräfte, seines Heimatstaates und als Vertreter der dort verantwortlichen internationalen oder multinationalen Organisation gesehen wird. Er vermeidet daher ein Verhalten, das ihn selbst oder seinen Verband in Misskredit bringen kann und die Glaubwürdigkeit des Einsatzes bei der Bevölkerung in Frage stellt.
Die folgenden Maximen sollen das Selbstverständnis des katholischen Soldaten von heute prägen. Sie gelten für alle Soldaten, in besonderem Maße aber für Vorgesetzte aller Ebenen in ihrer Funktion als Kommandant, Ausbilder und Erzieher:
Im Glauben verwurzelt: Wir bemühen uns um ein Leben aus dem Glauben an Jesus Christus, bekennen uns zu seiner Kirche und tragen dazu bei, Kirche unter Soldaten zu verwirklichen.
Sittlich gebunden: Wir orientieren uns auch in unserem Dienst an christlichen Idealen und wissen uns an sittliche Normen gebunden, wie sie die katholische Soziallehre entwickelt hat und die kirchliche Friedensethik durchdringen.
Politisch gebildet: Wir treten für unsere demokratische staatliche Ordnung ein, sind politisch interessiert und nehmen als selbstbewusste Christen am gesellschaftlichen Leben teil.
Fachlich kompetent: Wir eignen uns das für unseren soldatischen Dienst notwendige theoretische Wissen, die praktischen Fertigkeiten und angemessene Umgangsformen an, um überzeugen zu können.
Gewissenhaft dienend: Wir stehen zu dem Versprechen, unserem Land treu zu dienen, und erfüllen unsere Pflichten gewissenhaft und nach besten Kräften. Wir sind uns der Verantwortung, die wir mit unserem Auftrag übernommen haben, bewusst.
Dem Frieden verpflichtet: Wir haben uns in den Dienst des Friedens gestellt. Wir sichern die bisher erreichte Qualität des Friedens und setzen uns für seine Gestaltung und Entwicklung im nationalen und internationalen Bereich ein. Insbesondere sind wir dem Schutz der Menschenwürde und der Menschenrechte verpflichtet.
Um Zusammenarbeit bemüht: Wir arbeiten mit gesellschaftlichen und politischen Kräften zusammen, die eine unserer Wertordnung entsprechende Friedensordnung mitgestalten wollen, auch über Landesgrenzen hinaus.
Ökumenisch aufgeschlossen: Wir stehen zur Ökumene und bemühen uns, im Geiste der Einheit, das Trennende zwischen den Konfessionen zu überwinden und neue Dimensionen der Gemeinsamkeit zu finden. Darüber hinaus respektieren wir andere Religionen und bemühen uns um Dialog und Zusammenarbeit.
All das ist in einen umfassenden Prozess der Entwicklung und Ausbildung mit einzubeziehen.
2. Forderungen an Politik, Gesellschaft, Streitkräfte und Kirche
Als Soldaten sind wir bereit, unseren Dienst am Frieden gemäß diesen Maximen zu leisten. Dazu sind jedoch politische, rechtliche und ethische Rahmenbedingungen erforderlich. Diese zu erhalten oder zu schaffen ist gemeinsame Aufgabe von Politik, Streitkräfte, Kirche und Gesellschaft:
* Betreiben und Weiterentwickeln einer aktiven Politik der Gerechtigkeit, des Friedens und der Integrität der Schöpfung, und einer wirksamen Krisenprävention zur Förderung der Lebensqualität,
* Bemühen um eine Weiterentwicklung des Völkerrechtes im Hinblick auf die Bedingungen und Umstände der humanitären Intervention,
* Beachtung der ethischen Normen bei allen Entscheidungen über militärische Einsätze, die weder im Hinblick auf ihre Ziele noch auf die eingesetzten Mittel gegen die Menschenwürde oder gegen die Menschenrechte verstoßen dürfen. Darüber hinaus soll einer Studie zu den ethischen Auswirkungen sowie den Folgen der Entwicklung und Verwendung nicht tödlicher Waffen besondere Priorität zukommen, um ihnen denselben rechtlichen Status wie den sogenannten ABC-Waffen seit dem letzten Jahrhundert zu verleihen,
* Gewährleisten der Religionsfreiheit in den Streitkräften,
* Sicherstellen der freien Religionsausübung und Hilfe zur Gewissensbildung in allen Fragen, die den Dienst des Soldaten betreffen, durch seelsorgliche Begleitung überall dort, wo Soldaten ihren Dienst tun,
* Unterstützung bei internationalen Regelungen für die Zusammenarbeit von Militärgeistlichen verschiedener Nationen,
* besondere seelsorgliche Begleitung von Familienangehörigen der im Ausland eingesetzten Soldaten, zur Aufrechterhaltung familiärer Stabilität,
* Anerkennung und solidarische Unterstützung des soldatischen Friedens-dienstes durch alle gesellschaftlichen Kräfte,
* Breite Unterstützung von kirchlichen Helfern innerhalb der Streitkräfte seitens der Bischofskonferenzen und lokalen Bischöfe, sowie der Weiterentwicklung der kirchlichen Friedenslehre auf allen Ebe