Mit seinem 80. Geburtstag endet die Ära von Kardinal Christoph Schönborn als Erzbischof von Wien. Die vergangenen Jahrzehnte waren geprägt von Krisen, Reformen und der Suche nach Wegen, die katholische Kirche in Österreich und weltweit in turbulenten Zeiten zu leiten. Schönborns Leben und Wirken zeichnen sich durch seinen unermüdlichen Einsatz für Dialog, Aufarbeitung und den Glauben aus.
Vom Theologen zum Krisenmanager
Als Christoph Schönborn 1995 zum Erzbischof von Wien ernannt wurde, befand sich die katholische Kirche in Österreich in einer ihrer schwersten Krisen. Sein Vorgänger, Kardinal Hans Hermann Groer, war in einen Missbrauchsskandal verwickelt, der die Glaubwürdigkeit der Kirche schwer erschütterte. Schönborns erste Reaktion, die Vorwürfe als "diffamierende Beschuldigungen" abzutun, brachte ihm Kritik ein. Doch bald gestand er seine Fehleinschätzung ein – ein frühes Zeichen seiner Fähigkeit zur Selbstkritik, die sein Amt prägen sollte.
Der Missbrauchsskandal um Groer markierte den Beginn eines Jahrzehnte währenden Engagements Schönborns für die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Kirche. Er richtete 2010 eine unabhängige Opferschutzkommission ein und bat öffentlich um Vergebung. Seine Maßnahmen fanden internationale Beachtung und setzten Standards, die später auch im Vatikan übernommen wurden.
Reformwillen und Widerstände
Schönborn war ein Mann des Dialogs, aber auch der Grenzen. Als 1995 das Kirchenvolksbegehren in Österreich mehr Mitspracherechte für Laien, die Freistellung des Zölibats und mehr Rechte für Frauen forderte, reagierte er mit einem "Dialog für Österreich". Kritiker warfen ihm jedoch vor, dass der Dialog eher symbolisch blieb. Besonders deutlich zeigte sich sein konservativer Kurs, als er Helmut Schüller, einen prominenten Fürsprecher des Volksbegehrens, als Generalvikar absetzte.
Sein diözesanes Reformprojekt „APG 2010“, das eine Zusammenlegung von Pfarren und eine missionarische Erneuerung vorsah, zeigte Schönborns Bemühungen um strukturelle Anpassungen. Doch trotz aller Reformansätze blieb der gewünschte Erfolg aus: Die Kirchenaustritte nahmen weiterhin zu.
Ein Vorreiter der Aufarbeitung
2010 brachte eine neue Welle von Missbrauchsfällen die Kirche erneut in Bedrängnis. Schönborn handelte entschlossen. Mit Transparenz und Empathie wurde er zu einem Vorreiter der Aufarbeitung. Besonders symbolisch war sein öffentlich übertragenes Gespräch mit der Betroffenen Doris Reisinger 2019, in dem er sie mit den Worten „Ja, ich glaube Ihnen“ unterstützte. Diese Geste machte ihn zu einer glaubwürdigen Stimme für Opfer kirchlicher Gewalt.
Ein Kardinal der Weltkirche
Neben seinem Wirken in Österreich spielte Schönborn eine bedeutende Rolle in der Weltkirche. Als enger Vertrauter von Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus prägte er die Kirche über Jahrzehnte hinweg. Seine Sprachgewandtheit und theologischen Fähigkeiten machten ihn zu einem gefragten Berater in Rom. Besonders hervorgehoben wurde sein Beitrag zur Synode über die Familie, deren Ergebnisse er mit dem Schreiben „Amoris Laetitia“ der Weltöffentlichkeit präsentierte.
Schönborns internationales Engagement reichte weit über die Kirche hinaus. Er war eine wichtige Stimme im christlich-jüdischen Dialog und suchte den Austausch mit dem Islam, unter anderem bei einem Iran-Besuch 2001.
Die Spannung zwischen Prinzipien und Praxis
Kritik blieb Schönborn nicht erspart. Sein Umgang mit Themen wie geschiedenen Wiederverheirateten brachte ihm den Vorwurf der Heuchelei ein. Doch Schönborn sah das Leben der Kirche als Balanceakt: „Man muss die Prinzipien so hochhalten, dass man gut unten durchkommt“, sagte er 2013 in einem Interview. Für ihn gehörten Scheitern und Barmherzigkeit untrennbar zum christlichen Leben.
Erbe und Ausblick
Christoph Schönborn hinterlässt eine gespaltene Bilanz: Einerseits wurde er als Vermittler und Krisenmanager geschätzt, andererseits kritisierten viele seine Zurückhaltung bei grundlegenden Reformen. Dennoch bleibt sein Einfluss unbestritten. Als Vertrauter von drei Päpsten und Teilnehmer an neun Weltbischofssynoden prägte er die katholische Kirche auf globaler Ebene.
Sein Rückblick auf das eigene Leben ist von Demut geprägt: „Ich verdanke der Kirche unglaublich viel, sehe aber auch ihre Fehler – an mir selbst.“ Dieser Satz spiegelt das Spannungsfeld wider, in dem Schönborn stets agierte: zwischen Ideal und Realität, zwischen Prinzipien und menschlichem Scheitern.
Mit dem Ende seiner Amtszeit geht eine Ära zu Ende, die die katholische Kirche in Österreich und darüber hinaus nachhaltig geprägt hat.
Quellen: APA, Kathpress, Domradio.de, redigiert durch ÖA