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Von der Treue einer Geste und der Kraft eines Blickes

6. Station des Kreuzweges 6. Station des Kreuzweges Bild: Hilmar J. Grutschnig / ÖA

6. Station des Kreuzwegs: Veronika reicht Jesus das Schweißtuch

Zwischen den Speeren der Soldaten, dem gellenden Lärm der Menge, dem Schweiß und Blut auf dem Antlitz des Verurteilten – geschieht etwas beinahe Unsichtbares. Eine Bewegung, so leise und schlicht, dass man sie leicht übersehen könnte. Doch sie hallt durch die Jahrhunderte: Veronika tritt aus der Anonymität der Masse heraus und reicht Jesus ein Tuch.

Es ist ein Akt, der nicht spektakulär daherkommt. Kein Heldentum im klassischen Sinn. Und doch ist es eine Tat von seltener Zivilcourage. Die Szene – so unscheinbar sie wirkt – ist wie ein Brennglas für das, was Menschlichkeit bedeutet, wenn sie nicht auf Applaus hofft. In einer Welt, in der Macht sich in Härte zeigt, ist ihre sanfte Geste ein Zeichen radikaler Treue.

In der überlieferten Legende ist Veronika keine große Rednerin. Sie stellt sich nicht gegen das System, sie schreit nicht gegen das Unrecht. Aber sie sieht hin. Wirklich. Ihr Blick ist nicht das distanzierte Interesse der Gaffer, die sich an Leid sättigen, um sich selbst zu spüren. Veronikas Blick ist ein Raum. Und in diesem Raum darf Jesus für einen Moment mehr sein als nur der Verurteilte – er ist Mensch, er wird gesehen, er wird berührt.

Markus schreibt von den Frauen, die „von weitem zusahen“, Frauen wie Maria von Magdala oder Salome. Sie waren ihm gefolgt, hatten ihm gedient – auch sie: Zeuginnen stiller Treue. Die Männer hatten sich längst zurückgezogen, aus Angst, aus Verzweiflung, aus Ohnmacht. Es sind die Frauen, die bleiben, die handeln, die trösten – mit ihren Blicken, ihren Händen, ihrer Anwesenheit. Die Geschichte erinnert uns: Mitgefühl hat kein Geschlecht, aber es braucht Mut.

Ein Moment zum Innehalten:

Wann hast du zuletzt wirklich hingesehen – nicht nur mit den Augen, sondern mit dem Herzen?
Wie oft beobachten wir Leid aus sicherer Entfernung, ohne uns zu berühren zu lassen?
Wem bist du schon begegnet, der – wie Veronika – mitten im Chaos ein Zeichen der Menschlichkeit gesetzt hat?

Veronika konnte das Kreuz nicht tragen. Aber sie hat getragen, was sie tragen konnte: Mitleid. Zuwendung. Menschlichkeit. Und das hat Spuren hinterlassen. Vielleicht braucht es manchmal keine großen Taten. Nur den Mut, stehenzubleiben. Hinzusehen. Und einem anderen Menschen das Gesicht zu wahren.