Die 12. Station – Jesus stirbt am Kreuz
Jeder Mensch wird geboren, um zu leben. Jesus kam, um zu sterben. Am Kreuz endet sein Weg – nicht mit einem dramatischen Akt des Widerstands, sondern mit einer Konsequenz, die tiefer geht als jedes menschliche Begreifen: „Es ist vollbracht.“
Drei Worte. Kein Pathos, keine Anklage – nur die stille Gewissheit, dass das Ziel erreicht ist. Jesu Tod ist kein Scheitern. Er ist Erfüllung. Die letzte Konsequenz einer Liebe, die keinen Umweg sucht.
Doch dieser letzte Moment ist nicht frei von Dunkelheit. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – dieser Schrei durchschneidet die Himmel und trifft mitten ins Herz menschlicher Erfahrung. Es ist der Klang eines Abgrunds, in den sich Jesus ohne Sicherungsseil hinabgelassen hat. Der Moment, in dem er die Gottesferne der Welt nicht nur spürt, sondern trägt. Nicht wie ein Beobachter, sondern wie einer, der ganz in ihr steht.
Jesus stirbt nicht einfach – er identifiziert sich mit allem, was uns trennt, was uns zermürbt, was uns verloren macht. Paulus wird es später in Worte fassen, die kaum zu ertragen sind: „Er, der keine Sünde kannte, wurde zur Sünde gemacht.“
Ein Mensch, der liebt, bleibt nicht neutral. Wer liebt, stellt sich auf die Seite des Leidenden. Jesus bleibt nicht Beobachter menschlicher Verlorenheit – er wird selbst zu ihr. Und ausgerechnet dort, wo die Gottverlassenheit am größten scheint, geschieht die Wende. Er gibt seinen Geist auf – nicht im Sinn von Aufgeben, sondern im Sinn von Hingabe. Der Tod wird zum Durchgang.
Was für uns das Ende ist, wird in ihm zum Ursprung.
Ein Moment zum Innehalten:
Wo in meinem Leben spüre ich Dunkelheit – und habe Angst, dass Gott nicht mehr da ist?
Kann ich glauben, dass Jesus auch diese tiefste Einsamkeit kennt – und sie mit mir trägt?
Was bedeutet es, dass jemand „für mich stirbt“ – kann ich das annehmen, ohne Schuld, sondern in Dankbarkeit?
Bin ich bereit, selbst dort Nähe zuzulassen, wo andere ihr Kreuz tragen – nicht mit Ratschlägen, sondern mit echter Gegenwart?
Der Tod Jesu ist kein Ende. Es ist der Wendepunkt, an dem aus Verlassenheit Nähe wird – und aus einem sterbenden Schrei ein neuer Anfang.