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Ein Moment, in dem nichts mehr verborgen bleibt

Die 10. Station des Kreuzweges Die 10. Station des Kreuzweges Bild: Hilmar J. Grutschnig / ÖA

10. Station - Jesus wird seiner Kleider beraubt

Auf dem staubigen Hügel von Golgota steht ein Mensch – nicht mehr geschützt durch Stoff, nicht mehr gehüllt in Würde. Die Soldaten, geübt im Vollzug des Todes, greifen routiniert nach seinen Kleidern. Der Stoff wird bald verlost, sein Körper bleibt zurück: entblößt, schutzlos, dem Spott preisgegeben. Es ist nicht nur ein Akt äußerer Entkleidung – es ist eine Entäußerung bis in den letzten Winkel des Menschseins.

Doch das Evangelium bleibt nüchtern. Es erzählt diese Szene in Passivform: „Sie nahmen seine Kleider.“ Keine Gegenwehr, kein Aufbäumen. Aber wer genauer hinsieht, erkennt: Hier liegt kein bloßes Erdulden vor. Die Worte des Paulus aus dem Philipperbrief durchdringen das Schweigen: „Er entäußerte sich…“ Jesus gibt sich hin, aus freiem Willen, aus tiefer Überzeugung. Seine Entblößung wird zum Zeichen absoluter Hingabe, gelebtem Gehorsam gegenüber dem Vater – nicht widerwillig, sondern entschlossen.

Ein Gewand, aus einem Stück gewebt. Ungeteilt – wie Jesu Leben, seine Treue, sein Ja zu dem Weg, den er geht. Die Soldaten werfen das Los. Es ist die zynische Routine einer Welt, die Besitz höher schätzt als Person, Stoff wertvoller als Seele.

Doch diese Entblößung spricht weiter. Sie spiegelt sich in der Welt von heute:

Schicht für Schicht wird auch unsere Zeit dünnhäutiger.
Schicht für Schicht wird die Welt schutzloser – in den Debatten, die mehr spalten als verbinden.
In den Waffen, die in Wüsten und Städten gleich tödlich sprechen.
In den Worten, die nicht heilen, sondern bloßlegen, verletzen, entkleiden.

Ein Moment zum Innehalten:

Was bleibt von mir, wenn alles Äußere fällt? 
In welchen Momenten bin ich bereit, mich Gott ganz hinzugeben – nackt, ehrlich, echt?
Wo sehe ich heute Menschen, denen die Würde genommen wird – und wie kann ich sie schützen?