Auch Papst Paul VI., der die Initiative einer jährlichen Feier im Jahre 1968 ergriffen hatte, nahm die Schatten über seiner Weltstunde wahr und appellierte leidenschaftlichen Herzens und in klarer Einsicht in die realisierbaren Möglichkeiten an die Menschheit, Frieden zu schaffen. Aktueller Anlass war der sogenannte "Sechstagekrieg" im Nahen Osten, in den die irdische Heimat des Erlösers unmittelbar verstrickt war. Aber "begrenzte Kriege" im geopolitischen Bereiche der Krisenherde gab es de facto bereits seit dem Waffenstillstand nach dem Zweiten Weltkrieg in Asien wie in Afrika. Überdies hing das Damoklesschwert einer nuklearen Bedrohung über den Großmächten, trotz deren Pattstellung ob ihrer Philosophie des "overkills" und ihrer Trümpfe im Bereiche der ABC-Waffenarsenale. Papst Johannes Paul I. und Papst Johannes Paul II. waren und sind ständige Apostel zur Befriedung. Die Ansprachen und Gebete Papst Johannes Pauls II. während der Konflikte in neuerer Zeit stehen als Zeugnis für die Tat, die der Gesinnung entspringt.
Paul VI. knüpfte durch seine Initiativen um des Friedens willen an die pastorale Tradition Benedikts XV. und Pius' XII. an: indem er eindringlich aufzeigte, wie sehr ein vordergründiger "Frieden der Waffen" durch den hintergründigen "Frieden der Herzen" bedingt wird. Der Friede beginnt im Herzen eines jeden einzelnen Menschen. Dortselbst findet der bedeutendste, der wichtigste "Friedenskongress" der Welt- und Heilsgeschichte statt. Es ist durch den Frieden mit Gott, dem Schöpfer, auch der Friede des Geschöpfes mit sich selbst. Damit wird aber auch jede Form des partnerschaftlichen Friedens angesprochen: des Friedens in den Familien, den kleinen, überschaubaren Gruppen und dörflichen Gemeinschaften, des Friedens in den Vereinigungen, Verbänden, sozialen Interessenbezügen, in der Wirtschaft, der Arbeitswelt, vom Agrarwesen in die industriellen Ballungsräume, des Friedens in den Städten und Ländern, den Regionen und Staaten, den mehr oder minder integrierten Staatengemeinschaften, des Friedens der Erdteile, der Kulturen und der gesamten Völkergemeinschaft. Der "Krieg", der eine Familie durch Hass und Zwietracht spaltet, wird zum Keim grenzüberschreitender Konflikte, deren Austragung von menschheitsverachtenden Instrumentarien der Vernichtung flankiert wird.
Papst Paul VI. proklamierte im Spätherbst des Jahres 1967 für den ersten Kalendertag des bürgerlichen Jahres 1968, an dem die Weltkirche seit dem II. Vatikanischen Konzil das Hochfest der Gottesmutter Maria feiert, einen global zu begehenden "Tag des Friedens". Die päpstlichen Weltfriedenstage zählen zu den hervortretenden Bedenktagen des kirchlichen und global-politischen Jahres. Sie werden im Schatten der Gewalt und der Tränen, die dem vergossenen Blut entstammen, mehr oder minder gefeiert bzw. begangen. Sie bieten Anlass zur gemeinschaftlichen Besinnung im liturgischen, im akademischen, im internationalen Raume. Sie entbehren nicht eines gewissen deklamatorischen Charakters, der unverzichtbar bleibt, zugleich sollen sie als Imperative an die Ohren und zu den Herzen aller Menschen, aller Rassen und Hautfarben, aller Sprachen, Nationen und auch aller Religionen dringen.
Die päpstlichen Weltfriedenstage dürfen nicht zu unreflektierten, ja gedankenarmen "lieben Gewohnheiten" werden. Sie bedeuten nach dem Willen Papst Pauls VI. und seiner Nachfolger im Petrusamt eine Herausforderung zur "Metanoia", zum Umdenken, zu einer Änderung der Grundgesinnung und des praktischen Verhaltens. Ja, man könnte sagen, die päpstlichen Weltfriedenstage sind eine Provokation im Namen des Evangeliums. Sie wollen den Routinier, der einen neuen Jahresanfang mit gewohnten Ritualen feiert, herausreißen aus der Gleichgültigkeit gegenüber dem Hass und den vielen Spielarten feindseliger Konfliktaustragung.
DDr. Donato Squicciarini
Titularerzbischof von Tiburnia
Apostolischer Nuntius in Österreich