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Erlebnisberichte von Militärseelsorgern: "Hinter den Fronten Galiziens"

Hinter den Fronten Galiziens Hinter den Fronten Galiziens

Der am 9. März 1879 als Sohn eines Tierarztes und Bauern und vorletztes von 16 Kindern in Lana bei Meran geborene Alois Gögele entscheidet sich früh für eine geistliche Laufbahn. 

Nach der Maturitätsprüfung tritt er in den Konvent des Deutschen Ordens in seinem Heimatort ein und erhält den Ordensnamen Karl. Er ist pflichtbewusst, schriftstellerisch begabt, seine Spiritualität ist wie bei vielen Tirolern seiner Zeit von Marien- und Herz-Jesu-Verehrung geprägt. Nach verschiedenen pastoralen Verwendungen geht er als Militärseelsorger mit einem Spital seines Ordens (dem Deutschordens-Verwundeten-Spital Nr. 4) an den Kriegsschauplatz nach Galizien.

Während der gesamten Kriegszeit, vom 16. August 1914 bis 30. Jänner 1919, hält er seine Erlebnisse in Tagebuchform fest und gewährt damit einen ausgezeichneten Einblick in die Arbeit eines Militärseelsorgers und der Versorgung der Verwundeten im Feldspital, ansatzweise auch in das Leben der Soldaten und der lokalen Bevölkerung. Der vorliegende Band folgt im Großen und Ganzen einem fortlaufenden Bericht, den Gögele selbst aus seinen Tagebuchaufzeichnungen für das erste Kriegsjahr zusammengestellt hat.
Interessant ist dieser Bericht Gögeles aus mehreren Gründen:
Erstens: Seine Erzählweise ist nüchtern, theologische Reflexionen oder das in vergleichbaren Texten häufig anzutreffende religiöse wie nationalistische Pathos tritt fast völlig zurück. Auch sein eigenes Wirken wird nicht als besonders bemerkenswert herausgestellt, vielmehr kommen ab und zu auch eigene Fehlleistungen in den Blick, für die ihm gelegentlich vom Kommandanten der Kopf gewaschen wird: etwa wenn er illegal Post über militärische Kanäle weiterleitet oder einen Kranken ins Spital bringt, der aus Seuchenschutzgründen ins Epidemiespital gehörte. Dabei versäumt es Gögele freilich auch nicht, eine ähnliche Fehlleistung des Kommandanten selbst festzuhalten.
Zweitens: Gögele konzentriert sich über weite Strecken auf den Alltag seiner Einheit, der aus Warten, gelegentlichem gemütlichem Biertrinken, Besuchen bei den örtlichen Geistlichen, unvermittelt eintreffenden Verlegungsbefehlen, geduldigem Ertragen des beschwerlichen Lebens und der Witterung, dem schubweisen Eintreffen einer großen Zahl von Verwundeten, die nur unzureichend versorgt werden können, und immer wieder Erkundigungen der fremdartigen Umwelt mit Neugier, Interesse, manchmal Herablassung, insbesondere gegenüber der jüdischen Bevölkerung.
Drittens zeigt sich in Gögeles Formulierungen ein ambivalentes, differenziertes Verhältnis zur jüdischen Bevölkerung in Galizien. Einerseits teilt Gögele manches Vorurteil vieler seiner Zeitgenossen und beschreibt regelmäßig ihr Gewinnstreben, den Schmutz auf den Straßen etc., zugleich aber ist er fasziniert, geht durch die jüdischen Viertel, sucht Begegnungen, macht Porträtfotos jüdischer Menschen, in denen sich einerseits Klischees über das Ostjudentum, seine Armut widerspiegeln, durch die er aber auch auf seine Weise einen kleinen Beitrag zur Dokumentation dieser verlorenen Welt leistet, wie Monika Mader im biographischen Begleitartikel anerkennend feststellt.
Viertens nimmt er sein engeres Umfeld, seine Vorgesetzten bzw. Kameraden, die Ordensschwestern, die verwundeten Soldaten, sehr aufmerksam wahr, hält immer wieder ihre Namen fest, ihren Umgang mit den Widrigkeiten des Krieges, mit Verwundung, Krankheit, Gefahren. Übrigens gerät er selbst auch einmal in Lebensgefahr durch eine Krankheit, wie er freilich nur kurz am Rande anmerkt.
Immer wieder notiert er auch Intrigen und kleine Bosheiten innerhalb der Armee, besonders wenn es ums Essen, Bequemlichkeit bzw. um die Zuteilung der Quartiere geht, oder einfach wenn persönliche Sympathie und Antipathie ins Spiel kommen. Interessant ist auch die Schilderung von Begegnungen mit russischen Verwundeten.
Fünftens hat Gögele während seines Tätigkeit als Militärseelsorger zahlreiche Fotographien erstellt und damit den Spitalsbetrieb, die Verlegungen und das Einsatzland bildlich dokumentiert. Viele wurden in den Band aufgenommen und stellen eine wertvolle Ergänzung des Berichts dar.
Neben dem biographischen Artikel Monika Maders versammelt der ausführliche Einleitungsteil auch Beiträge von Manfred Schwarz über den Einsatz von Tiroler Truppen im Ersten Weltkrieg, von Erwin A. Schmidl über den Kriegsschauplatz Galizien, von Monika Mader über den Deutschen Orden und das Sanitätswesen sowie von Martin Pollack über den Mythos Galizien.
Zwei Jahre nach dem ersten Band hat die Herausgeberin einen Folgeband mit den Einträgen aus den Kriegstagebüchern der von Gögeles Bericht noch nicht erfassten Jahre veröffentlicht. Darin geht es weniger um die ständigen Verlegungen wie im ersten Band als vielmehr vor allem um die Schilderung einer gewissen moralischen Verrohung mit Fortdauer des Kriegs unter den Offizieren bzw. Soldaten.
Nach dem Ende des Kriegs mit Russland wird das Vierte Deutschordensspital mit Gögele an die italienische Front verlegt, das Kriegsende trifft die Belegschaft dann eher überraschend. Gögele begleitet noch die Schwestern in ihre jeweiligen Niederlassungen und kann dann nur mit größeren Schwierigkeiten angesichts der veränderten territorialen Zugehörigkeit in seine Heimat nach Südtirol zurückkehren, wo er noch rund 20 Jahre als Seelsorger wirkt, bis er kurz vor seinem 60. Geburtstag nach einem schweren Asthmaanfall stirbt.
Monika Mader (Hg.): Hinter den Fronten Galiziens. Feldkaplan Karl Gögele und sein Verwundetenspital. Aufzeichnungen 1914-1915, Bozen 2016, 336 Seiten, Sprache: deutsch
Buchnummer MBBA: 10.011
Folgeband:
Monika Mader (Hg.): Raues Leben, großes Sterben. Feldkaplan Karl Gögele und sein Deutschordensspital. Kriegstagebücher 1915-1918, Bozen 2018, 551 Seiten, Sprache: Deutsch
Buchnummer MBBA: 11.561