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Friedens- und Konfliktethik Friedens- und Konfliktethik

Der ehemalige deutsche Militärseelsorger und Projektleiter am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg Marco Schrage legt ein kompaktes Lehrbuch zur Friedens- und Konfliktethik als Teil der Ethik der Internationalen Beziehungen vor, die er eng mit der Thematik der politischen Ethik verbunden sieht. Anlass für die Entstehung des Buches war seine Lehrtätigkeit im Rahmen des interdisziplinären Masterstudiengangs Peace an Security Studies. Für die Studentinnen und Studenten dieses Studiengangs und darüber hinaus für alle Interessierten vor allem aus den Disziplinen Theologie, Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft hat er dieses Lehrbuch verfasst, das erste seiner Art unter den zahlreichen Publikationen des Instituts für Religion und Frieden, die sich sonst jeweils auf spezielle Fragen der Friedens- und Konfliktethik konzentrieren.

Im ersten Hauptteil stellt Schrage als Verständnisvoraussetzung für das Folgende ethische bzw. sozialethische Grundlagen vor, im zweiten wählt er einen geschichtlichen (diachronen) Zugang, in dem er die wirkmächtigsten (christlichen, europäischen) Ausgestaltungen einer Friedens- und Konfliktethik skizziert. Der dritte Hauptteil widmet sich in systematischer (synchroner) Form wesentlichen Elementen einer aktuellen Friedens- und Konfliktethik, orientiert sich vor allem am Leitbild des gerechten Friedens, stellt die wichtigsten Gewaltlegitimationskriterien vor, lässt aber auch die Thematik der Konfliktprävention (ein von Daniel Peters beigesteuerter Beitrag) sowie der Konfliktnachsorge (ein Beitrag des Direktors des Instituts für Theologie und Frieden, Heinz-Gerhard Justenhoven) ausführlich zu Wort kommen. Der vierte Hauptteil widmet sich vier exemplarischen Herausforderungen für eine Friedens- und Konfliktethik, näherhin sind das „Nukleare Abschreckung“, „Militärische Interventionen zu humanitären Zwecken und Responsibility to Protect“, „Operationell autonome Waffensysteme“ sowie als Herausforderung nicht durch die militärische Praxis, sondern durch eine spezielle Form ethischer Reflexion „Die sog. ‚Revisionistische Theorie des gerechten Kriegs‘“.
In diesem von Bernhard Koch, dem stellvertretenden Direktor des ITHF, verfassten Beitrag wird die Kritik Jeff McMahans und anderer an der einflussreichen Just-War-Konzeption Michal Walzers, näherhin an den Grundlagen seiner Argumentation im Bereich des Rechts im Krieg, vorgestellt. Walzer hat von vornherein die kollektive Gewaltausübung im Blick und betont – in Übereinstimmung mit der Grundintention des Humanitären Völkerrechts – die Unabhängigkeit des Rechts im Krieg vom Recht zum Krieg, also von der Frage, ob sich die Konfliktpartei, der der Kombattant/die Kombattantin, angehört, aus legitimen Gründen am bewaffneten Konflikt beteiligt oder nicht. Kombattanten/Kombattantinnen beider Seiten stehen sich also grundsätzlich moralisch gleichberechtigt gegenüber, sofern sie sich an die Bestimmungen des Rechts im Krieg, des Humanitären Völkerrechts halten, und nur Kombattanten/Kombattantinnen und militärische Einrichtungen dürfen direkt angegriffen werden. Die Revisionisten um McMahan nehmen dagegen „die (fiktive) Situation einer zwischenmenschlichen Aggression“ (199) als Ausgangspunkt für ihre Analyse und versuchen anhand von Überzeugungen, die unserem moralischen Alltagsbewusstsein entnommen sind, zu zeigen, dass auch im kollektiven Bereich Gewalt legitimerweise nur gegen Personen angewendet werden darf, die ihrerseits „liable“, d.h. „haftbar“, für einen illegitimen Einsatz körperlicher Gewalt verantwortlich sind. Sofern sie das nicht sind, etwa weil sie sich legitimerweise selbst verteidigen oder über die Illegitimität ihres Handelns getäuscht wurden, dürfen auch gegnerische Kombattanten nicht angegriffen werden. Umgekehrt darf auch gegen Zivilpersonen Gewalt ausgeübt werden, wenn sie für den illegitimen Angriff in irgendeiner Form Verantwortung oder Mitverantwortung tragen. Insbesondere in demokratischen Kontexten kann das leicht sehr viele Zivilpersonen betreffen, die durch Wahlen oder andere Formen der Unterstützung bewusst und zurechenbar Angriffskriege mit ermöglichen. McMahan hat dem Einwand, dass diese Ausweitung potentieller direkter Ziele die „Totalisierung des bewaffneten Konflikts“ ermöglichen könnte, entgegnet, dass hier im „Sinne der Gewaltminimierung“ das rechtliche Verbot des Angriffs auf Zivilpersonen (gemäß dem positiven Humanitären Völkerrecht) die etwaige moralische Erlaubnis übertrumpfe (203). Es ist nicht schwer zu sehen, dass diese in der Militärethik sehr breit und heftig geführte Grundsatzdebatte durchaus praktische Folgen für die Legitimation von militärischen Einsätzen insgesamt, der Beteiligung einzelner Soldaten sowie des Einsatzes bestimmter militärischer Mittel hat: McMahan hat etwa die gezielten Tötungen von Zivilpersonen befürwortet, die für illegitime Angriffe verantwortlich sind, sich aber sehr zurückhaltend gezeigt, was Kämpfe gegen Einheiten mit Kindersoldaten betrifft. Weiters wollte er mit seinen Argumenten den Soldaten signalisieren, dass ihnen als Individuen sehr wohl ein Urteil darüber zuzutrauen ist, ob sie sich an einem legitimen Angriff beteiligen (werden) oder nicht – vor allem auf dem Hintergrund des beginnenden Afghanistan- wie Irakkriegs, vor dem die Ausgestaltung der revisionistischen Theorie auch zu sehen ist.
Schrage und seinen Mitautoren gelingt es, die für ein Verständnis der Argumentation notwendigen Hintergründe klar, komprimiert und ausgewogen darzustellen, selbst im letzten, sehr spezifischen Teil, und trotz der Verankerung in der christlich-theologischen Tradition die juristisch gut informierte ethisch-argumentative Ebene nie zu verlassen.
Marco Schrage ist Priester der Diözese Osnabrück und gehört nach seinem Wechsel in die deutschsprachige Abteilung des vatikanischen Staatssekretariats 2022 dem Institut für Theologie und Frieden noch als Research Fellow an.

Marco Schrage: Friedens- und Konfliktethik. Ein Grundriss, Opladen & Toronto 2022, 251 Seiten, Sprache: Deutsch
Buchnummer MBBA: 20533

 

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